Der Reisebericht zur TSE2006

Mittwoch, 29. März 2006

yes, we have eclipse-day again !!!


 

Farbenspiel

 

Nach entspannendem Schlaf werde ich langsam wach. Die nicht vollständig zugezogene Gardine lässt nur einen Hauch der Dämmerung hinein, die schon bald beendet sein wird. Da beginnt ein roter Lichtschein, das Zimmer zu durchfluten und bemalt die Zimmerwände mit dem goldenen Farbton des Morgenlichtes. Die aufgehende Sonne verdrängt die blaue Stunde und beendet die Nacht endgültig.

Mein neugieriger Blick aus dem Panorama-Fenster unseres Riesen-Hotels lässt mich einen fast perfekt klaren Himmel mit einer über den Bergen aufsteigenden Sonne erkennen.  Fast! Heute ist eclipse-day. Nur noch wenige Stunden bis zum Beginn der Finsternis. Ein paar zarte Zirrus-Streifen fallen mir auf den 2. Blick als störend auf. Erst jetzt wird Bernhard allmählich wach.

 

Die gestrige Wolken- und Wetterprognose hat es ja bereits angekündigt, dass sich in unserer Region um Konya leichte Zirrus-Wolkenfelder in den frühen Nachmittagsstunden bilden können. Die ersten Vorboten scheinen schon da zu sein. Mein Koffer mit 27 kg Ausrüstung ist vorbereitet und enthält alles, was ich für die Stunden der Sofi brauchen werde Hoffentlich...

 

Der Schindler-Fahrstuhl arbeitet heute non-stop. Quasi auf jeder Etage hält er an, und man merkt, dass sich die Japaner ebenfalls auf die Finsternis vorbereiten. Eine seltsam spürbare Nervosität liegt in der Luft. Die Kabine ist offenbar mit Finsternisjägern aus weiten Teilen der Welt gefüllt, und sie braucht über 6 Minuten, um die 24 Stockwerke bis hinunter zur Lobby zu fahren. Bernhard und ich plündern das Frühstücksbuffet. Wie immer, weht diese nervige, kühle Wind der Klimaanlage hier unten. Elke und Wolfgang sind bereits da. Marc kann ich nicht finden, doch angesichts der fast komplett belegten Tische denke ich mir, ihn vielleicht nur übersehen zu haben. Er hat gegen 7.30 Uhr ein Telefoninterview mit dem SWR. Auch der WDR plant, sich bei mir zwecks Interview zu melden. Stefan Krause hat zu diesem Zweck meine Mobil-Rufnummer angegeben.

 

Als sich Marc um 7.40 immer noch nicht sehen lässt, will Bernhard ihn via Rezeption wach klingeln lassen. Aber schließlich trifft er doch noch zum Frühstück ein. Stefan Krause macht sich auf, die Gruppe der Konya- Tagesausflügler vom Flughafen abzuholen. Wegen eines Defekts kommt dieser Flug fast 4 Stunden verspätet an.

 

Nicht so lange, aber doch spürbar verspätet erscheinen wieder einmal Bernhard und ich, als wir gegen 8.15 Uhr mit unserem unsäglich schweren Ausrüstungs-Gepäck am Shuttle-Bus der Performans- Tourism ankommen. Doch das ist nicht alleine unsere Schuld, denn der Fahrstuhl braucht dieses Mal sage und schreibe 8 Minuten, um uns nach unten zu befördern. Inzwischen hat sich das Wolkenbild am Himmel etwas zu unseren Ungunsten verändert. Die Prognosen scheinen sich nun zu bestätigen, denn allmählich rauben die Schleier-Streifen dem Himmel mehr und mehr Blau. Gestern hätte alles so gut geklappt! Aber gestern ist nicht heute, und Marc findet Wolken "einfach doof". Nach der Aufnahme der Leute aus dem Ötzkaymak-Hotel ist der Bus nun nahezu vollständig belegt und wir verlassen die weitläufige Stadt Konya, die mit ihren 700.000 Einwohnern kein genau definierbares Ende zu haben scheint.

 

Doch allmählich lassen wir bebautes Gelände hinter uns und befahren die gleiche Strecke, auf der unser gestriger Kappadokien- Ausflug startete. Die Stimmung ist gut in Erwartung der Sonnenfinsternis, auch wenn es sich abzeichnet, dass uns die Schleier-Streifenwolken wohl oder übel die ganze Zeit begleiten werden. Entlang der Straße 300 kommen wir wieder an an den zahllosen, umgestürzten Strommasten vorbei. Ob die Ursache dieser Gleichmäßigkeit nun auf natürliche oder menschliche Nachhilfe beruhen, bleibt ungeklärt. Die kappadokische Steppe mit ihren unendlichen Weiten und dem verbrannten Land liegt auf durchschnittlich 900-1000 Höhen-Metern, doch davon ist nichts zu ahnen. Es gibt bis zu 1800m hohe, alte Vulkanberge. Die zumeist sanft geschwungenen Hügel und Erhebungen entlang der Straße in dieser Region lockern die Ereignislosigkeit in der Umgebung etwas auf. Hier gibt es nichts außer trostlose Steppe, soweit das Auge blickt. Hier und da ein wenig Gras und: viele Stromleitungen...

 

Innerhalb unserer Gruppe tauchen noch einige Fragen rund um die Sonnenfinsternis auf. Wir diskutieren über mögliche Fototechniken, als mir die seit einiger Zeit andauernde Schleichfahrt des Busses auffällt. Wir scheinen den Zielpunkt allmählich zu erreichen. Eine gute Gelegenheit, die erste Sonnencreme aufzutragen. Nach  halbstündiger Schleichfahrt biegt der Fahrer rechts in eine schmale Straße. 5 Minuten später stoppt der Motor - der Zielort ist erreicht. Nicht wirklich attraktiv, aber gut geeignet für die Sofi. Nun gut!

 

Gerade habe ich meinen Koffer mit der Ausrüstung aus dem Stauraum gezerrt, höre ich eine Stimme, die ich noch gut kenne! Ich freue mich riesig, als Brigitte Benz aus Stuttgart plötzlich vor mir steht. Wusste ich doch von ihren Libyen-Sofi-Plänen, so erstaunt mich ihr Erscheinen hier nun sehr. Auch Elke und Wolfgang sind angenehm überrascht. Als wir durch das Gelände zum Zielort stapfen, erzählt sie mir, dass ihr Reiseveranstalter die Libyen-Tour einfach kurzerhand verworfen hat und sie sich nun schnellstens nach einer Alternative umsehen musste. Und so führt sie ihr Weg nun doch in die Türkei zu uns. Doch nur kurz nach diesem unerwarteten Treffen verlässt sie uns schon wieder, da sich herausstellt, dass ihr jetziger Veranstalter an einer anderen Stelle beobachten will. So heißt es, schneller als uns lieb ist, wieder Abschied nehmen.

 

Von den Bussen aus sind noch ca. 200 Meter zu Fuß zu gehen, um auf einer Anhöhe den geeigneten Beobachtungsplatz zu erreichen. Die Form dieses Berges , so verrückt es klingen mag, begeistert mich. Der Verlauf erinnert mich sofort an eine Oberflächenformation des Planeten Mars. Das ferngesteuerte NASA-Mars-Fahrzeug Spirit hat auf seiner Erkundungsfahrt einen ganz ähnlich aussehenden Hügel fotografiert, der auf den Namen Husband Hill getauft wurde. Genau wie hier zeigt die außerirdische Anhöhe teilweise freiliegende Schichten von Gestein.

 

Stativwelten

 

Inzwischen sind Conni, Bernhard, Elke, Wolfgang und Elke mit dem Aufbauen der Stative beschäftigt. Marc hat ebenfalls einen kleinen Newton zum Beobachten mitgebracht und schraubt das Stativ zusammen.

 

Steinige Eindrücke

Es ist 10.30 Uhr Ortszeit. Ich entscheide mich, meine Ausrüstung am Hang des "Husband Hill" aufzubauen. Kleine, bis zur Größe einer Hand umher liegende Steine prägen das Bild dieser öden Gegend. Aus Richtung Nord-Nordost schützt der Berg selbst ein wenig vor allzu aufdringlichen Windböen. Einigermaßen freie Sicht mit Blick ins Tal gibt es in Richtung des herannahenden Kernschattens, der aus Südwest heranrasen wird. Im Süden und Osten erkennt man einige Vulkankegel in der Ferne und schaut gleichzeitig am weitesten ins Land.

 

Am Fuße unseres Hanges kommt ein Schafhirt mit seiner großen Schafherde vorbei und ist neugierig wegen des absolut unüblichen Menschenmenge auf diesem kargen Berg. Nun, eine nervöse Schafherde zwischen all' den Stativen hier oben? Eine bizarre Vorstellung, aber die Herde bleibt friedlich und zieht vorbei an uns.

 

ECLIPSE IN PROGRESS

Beware of Umbraphile!

 

Doch für mich gilt, keine Zeit zu verlieren: Zuerst das Berlebach Holzstativ einnorden, ausbalancieren und aufstellen, dann die EQ3-Montierung aufstecken und schließlich nacheinander die 4"-Russentonne, die Videokamera und die kleine 500mm-Russentonne aufsatteln. Irgend etwas stimmt nicht mit der Deklinationsachse der Montierung. Es gelingt mir nicht, sie zu fixieren. Aber wenigstens tut der Rektaszensions-Motor seine Arbeit und ich hoffe, er wird wenigstens einigermaßen dem Lauf der Sonne folgen. Die Bequemlichkeit einer Nachführung habe ich schon des Öfteren bei Sonnen- und Mondfinsternissen geschätzt.

Sorgen macht mir außerdem der Kugelkopf für die Videokamera, dessen Innenteil sich gelockert hat. Ich hoffe, er übersteht die nächsten Stunden. Das Problem mit der Deklinationsachse bekomme ich dank eines kleinen Werkzeugkastens von Thomas in den Griff, aber so richtig wunschgemäß ist es nicht. Halb so wild; die Achse kann jederzeit leicht von Hand gesteuert werden, ich muss also aufpassen, sie nicht ruckartig zu bewegen.

Für das Experiment mit der Panorama-Kamera stelle ich hinter mir ein Alu-Stativ mit der Contax SLR und 28 mm Weitwinkel-Objektiv im Hochformat auf.

 

Dann bereite ich die Webcam auf ihren Einsatz vor und lege ein weißes Tuch auf den steinigen Boden. Marc ergänzt diese Fläche noch mit einem zweiten Tuch. Wir hoffen, das Phänomen der Schattenbänder in den Momenten vor dem 2. und nach dem 3. Kontakt zu sehen. Oder zumindest die Webcam, die ihre Daten als avi-Video auf meinem Laptop speichern wird. Als weiteres Experiment bereite ich eine Digitalkamera mit Video-Modus vor, die auf dem Boden liegen wird und den Kernschatten über uns filmen soll. Und das ist noch nicht alles: Als letztes mache ich die Ricoh-R1 startklar, mit der ich Selbstporträts während der Totalität von mir bekommen will. Der Intervallauslöser kann alle 30s selbsttätig ein Bild machen. Im ganzen also 7 Kameras im Einsatz. Mit einer 8. Kamera mache ich Aufnahmen der Umgebung. Das Aufbauen nimmt viel Zeit in Anspruch. Erst um 12.30 Uhr bin ich einsatzbereit; gerade mal 10 Minuten vor dem ersten Kontakt.

 

Bereit zur Sofi!

Inzwischen ist auch Stefan Krause und seine Mitarbeiterin Angela Weidenbach eingetroffen. Außerdem rund  200 Tagesreisende, die mit 4 Stunden Verspätung, aber gerade noch pünktlich, vor Ort sind. Unglaublich, aber man sieht kaum, dass über 300 Personen in der Umgebung sein sollen. Sie verlieren sich in der Weite der steinigen Hügellandschaft.

Unverändert geblieben ist der leicht getrübte Himmel. Es zieht eine sehr dünne Schleierwolkendecke über die Sonne. Ganz wie prognostiziert.

 

Finsternis-Service...

Die Stammbesucher meiner Webseite kennen dieses Thema schon gut: Der weltweit in aller Stille funktionierende Finsternis-Service. Dieses Mal in Form eines warmen Menüs!  Ich nehme mir eines der Lunch-Pakete, die Marc am Rande des Hügels bekommen hat. Verhungern oder verdursten musste ich bisher an keinem noch so abgeschiedenen Ort dieser Welt, wo immer ich auch bisher eine Sofi beobachtet habe. Das klappte schon in Sambia, Südafrika, Island, Italien, mitten im Pazifik, in Tunesien und heute hier, mitten im Nichts.

Durch meine orange Filterbrille sehe ich eine noch unversehrte Sonnenkugel am Himmel. Wegen meiner umfangreichen Vorbereitungen konnte ich das Geschehen um mich herum leider nur am Rande verfolgen. Doch die ausgelassene Stimmung und Vorfreude ist kaum zu überhören. Es wird gewitzelt und geflachst. Noch, denke ich mir!

 

Es geht los!

 

Erster Kontakt! ruft Marc lautstark, als er um 12:43:13 in seinem Newton erkennt, wie der Mond gerade begonnen hat, sich mit seinem Ostrand in der 5-Uhr-Position vor die Sonne zu schieben. Im Sucher meiner 4-Zoll-Russentonne kann ich es ebenfalls gut erkennen. Erkennen kann ich aber auch, dass die Zirrus-Wolkendecke eher etwas dichter geworden ist und das Sucherbild etwas eintrübt. Das gleiche im Sucherbild der digitalen Canon EOS 350d, die an der 500mm Russentonne angeschlossen ist. Beide Kameras löse ich per Kabel im 5-Minuten-Rhythmus aus. Auch im TFT-Display der Videokamera ist der erste Kontakt gut zu erkennen, und mit der Finsternis-Brille sehe ich den ersten "Biss" des Mondes gerade so. Trotz der 20°C ist die gefühlte Temperatur niedriger, weil der Wind immer wieder kräftig auflebt. Ich hoffe nur, dass sich dies nicht noch verstärkt. Die Schleierwolken bedecken immerhin nicht den ganzen Himmel und scheinen dünn zu bleiben. Bei den Belichtungszeiten für die partiellen Phasen machen sie sich allerdings derart bemerkbar, dass ich 2 Stufen länger belichten muss.

 

Nach der neuesten Wetterprognose, die mir Stefan Krause vor 2 Stunden telefonisch durchgegeben hat, soll sich die Wolkensituation nicht verändern. Stefan beobachtet unweit hinter mir. Es wird seine erste, totale Sonnenfinsternis werden. In bin auch schon neugierig, was die zahlreichen Erst-Beobachter nach dieser Sofi zu berichten haben.

 

13:20 Uhr

Ich kämpfe. Und zwar mit dem Kugelkopf, der die Sony-Videokamera trägt. Er lässt sich einfach nicht richtig fixieren und hält die Kamera nur gerade eben so in ihrer Soll-Position. Das Foto-Programm läuft dagegen soweit fehlerfrei. Der Wind hat etwas nachgelassen, Böen leben gelegentlich auf. Das Umgebungslicht hat schon erkennbar verändert, die Intensität ist deutlich geringer als vor noch einer halben Stunde. Marc und ich machen ein paar Selbstportraits von uns mit einem Filter, den wir in die Sonne halten. Klar zeichnet sich dort die Sichel der Sonne ab und lässt das partiell Tagesgestirn gut erkennen. Unterdessen kommt unser Guide Mehmet mit einem Kamerateam des türkischen Senders KON TV auf den Hang. Wolfgang, Marc und Bernhard geben Interviews und erklären mit Mehmets Übersetzung, aus welchem Grund wir 3000km reisen, um uns in dieser Einöde eine Sonnenfinsternis anzusehen. Auch mir stattet das Team einen Besuch ab, ich gebe einen kurzen Kommentar. Die Berichte werden später alle in den türkischen Nachrichten gezeigt. Es ist kühl geworden, und ich ziehe meinen Pulli wieder an. Die Finsternis schreitet voran.

 

13:40 Uhr

Das Umgebungslicht hat sich nun auch für unaufmerksame Beobachter deutlich erkennbar verändert. Marc spricht mich auf einen höchst interessanten Aspekt an. Die witzelnden Gespräche der zahlreichen Mitbeobachter sind nämlich allesamt verstummt und einer spürbaren Anspannung gewichen. Jeder merkt, dass nun offenkundig etwas im Gange ist. Auch ich merke, dass der große Moment des 2. Kontaktes nun mit Riesen-Schritten auf uns zukommt. Noch 19 Minuten.

 

Ich bereite mein Laptop vor, damit die Aufnahme von den erhofften, fliegenden Schatten in wenigen Minuten beginnen kann. Startklar ist auch die Boden-Digitalkamera, die den Kernschatten über uns aufnehmen soll. Gut 80% der Sonnenoberfläche sind bereits vom Mond bedeckt. Das Licht um uns ist fahl geworden, die Schatten aber nicht länger. Auf meinem Rechner läuft Fred Bruenjes Programm "Eclipse", auf dem man den Countdown bis zum 2. Kontakt in Minuten und Sekunden sehen kann. Countdown-Infizierte machen einige Fotos davon. Damit kann jeder sehen, wie die Zeit verrinnt und wie schnell sich nun die Ereignisse überschlagen werden.

 

13:50 Uhr

 Weniger als 10 Minuten bis zum 2. Kontakt. Ich starte die Webcam-Aufnahme mit dem Kamerablick auf die beiden weißen Bettlaken und justiere zum letzten Mal den Aufnahmewinkel. Auch die Bodenkamera kann nun eine Viertelstunde den Zenitbereich aufnehmen hat mit dem Filmen begonnen. Sorgen macht mir nach wie vor die Videokamera, deren Kugelkopf sich nur schwierig feststellen lässt. Nur noch eine schmale Sonnensichel ist auf dem TFT zu sehen. 8 Minuten noch. Im Südwesten kündigt sich langsam der Kernschatten an. Gerade in dieser Himmelsrichtung endet ca. 20° über dem Horizont das Schleierwolkenband. Es ist absehbar, dass die Zirrus-Wolken keine völlige Sichtbehinderung für die Finsternis sind, aber die Belichtungszeiten müssen deutlich erhöht werden. Meine Nervosität steigt und ich spüre mein Herz klopfen. Als nächstes muss ich meinen Diafilm in der Canon EOS 50 wechseln. Die Dauer des Zurückspulens kommt mir wie eine kleine Ewigkeit vor. Gottlob hat der Filmwechsel geklappt, der neue Diafilm ist bereit für die Totalität. Aufgeregt eilt Bernhard zu mir. Seine Kamera will den Film nicht einspulen. Eiligst helfe ich ihm, und seine Kamera ist kurz darauf startklar. Ich bin wieder an meinem Platz und prüfe alle Kabelauslöser. Neben mir höre ich jemanden sagen, dass er sich dies alles so spannend nicht vorgestellt habe. Das noch verbliebene Umgebungslicht reduziert sich jetzt kontinuierlich. Im Kamerasucher sehe ich nur noch eine schmale Sichel. Es folgt mein letztes Bild vor dem 2. Kontakt.

 

13:58:00

Ich bin früh an, aber ich beginne bereits 1 Minute vor der Totalität mit dem Abnehmen der ND-Filter bei der kleinen und großen Russentonne, sowie bei der Videokamera. Der Kernschatten steht im Südwesten kurz vor uns und rast auf uns zu. Deutlich ist die Graufärbung des Himmels dort zu sehen, und das kommt nicht von den Schleierwolken. Der Wind hat sich fast völlig beruhigt. Es ist kühl geworden, die Temperatur liegt bei nur noch 14°C. Mit der Finsternisbrille sehe ich nur noch den schmalen Schlitz der verbliebenen Sonne am Himmel stehen. Ein ehrfürchtiges Gemurmel macht sich breit. Unfassbar empfinde ich den Helligkeitsabfall, der ins bodenlose zu gehen scheint. Zu früh löse ich die ersten Bilder aus. Der Horizont leuchtet leicht gelblich. Ich wage 20 Sekunden vor dem 2. Kontakt einen Blick in den ungefilterten Kamerasucher. Die Sichel zerbricht! Es ist soweit! Mein Gott, was für ein Anblick.

 

13:59:00

Mein Blick geht zum Himmel und meine Finger sind an den Auslösern. Eine Kette greller Bailys Beads kündigt die Totalität an, während der Kernschatten auf uns zurast. Lautes, ehrfürchtiges Raunen, gefolgt von lautstarken Jubelschreien hallt über unseren Berg! Die Stimmung erreicht ihren ungebremsten Höhepunkt. Ein unendlich kurzer Diamantring leitet die Totalität ein.

 

In den nächsten 3 Sekunden geschieht folgendes: Der wackelige Kugelkopf entscheidet sich jetzt dafür, die Kamera aus dem Blickfeld der Sonne zu drehen! Noch während ich dies korrigiere, blinkt im Kameradisplay die Meldung "TAPE END". Ich habe vergessen, eine neue Videocassette einzulegen! Völlig egal, das Thema Videokamera gebe ich auf

 

Totalität! Endlich. Was für ein zauberhafter Moment! Zunächst erkenne ich für wenige Augenblicke die rötlich-pinkfarbene Chromosphäre. Und obwohl jetzt der so lange erwartete Moment da ist, empfinde ich es als surreal, was geschieht. Ich sehe es ja nicht zum ersten Mal, aber wie immer kann ich für die Totalität nicht die passenden Worte finden. Eine riesige, eruptive Protuberanz ist mit bloßem Auge über dem Mondrand zu sehen. Was für eine Farbe. Die Größe der Korona erinnert mich spontan an die Sekundentotalität vom 8. April 2005 im Pazifik. Sie hat eine sehr überschaubare Ausdehnung und wirkt auf den ersten Blick eher rundlich. Doch anhand der feinen, polaren Streamer und der schmetterlingsartigen Ausbreitung in Sonnenäquator-Nähe ist klar: Dies ist eine wahre Minimums-Korona.

 

 

Kein Foto, und sei es noch so perfekt bearbeitet, kann die Stimmung dieses Anblicks würdig erklären. Ich liebe diese Momente. Dafür lohnt es sich, zu leben. Das Weiß der Korona löst sich zum äußeren Rand recht übergangslos in den eher grauen Himmelshintergrund auf. Die dünne Zirruswolke dämpft die Ausdehnung sicher ein wenig. Wie jedes Mal denke ich, Mond und Sonne könnten doch länger so vereint bleiben. Meine 4. Totale und meine 7. Sofi insgesamt belohnt mich mit einem wunderschönen Farbenspiel der Dämmerung. Als ich meine Fotoserie mit den Tele-Objektiven beendet habe, stehe ich auf und gehe ein paar Meter weiter zurück, wo die Panorama-Kamera auf ihren Einsatz wartet. Der nördliche Horizont leuchtet auffallend gelblich und strahlt die Beobachter weiter hinter mir in einem mystisches Licht von unten anzustrahlen. Anders in östlicher Richtung: Die Vulkangipfel und Berge in mittlerer bis großer Entfernung sind von pastellartigen bis kräftigem Orange umhüllt. Manche der Hügel sehen aus wie angemalt. Aus gut 90 km Entfernung kommt das Licht der Tagzone, dass die Umgebung erkennbar mit dem wandernden Kernschatten verändert. Von Südwest nach Nordost zieht der Schattenpfad über die Landschaft. Wie bizarr.

 

Die Hochkant-Panorama-Kamera lässt mich nicht im Stich, und so gelingt es mir, in gut 40 Sekunden den gesamten Horizont mit 14 Aufnahmen abzulichten. Abweichend vom Wert des Belichtungsmesser verkürze ich die Belichtungszeit um 0,5s auf eine ganze Sekunde. Es ist nicht stockfinster, man kann seine Umgebung im minutiösen Dämmerlicht gut erkennen. Meine Mitbewohner sind am Staunen und Genießen. Es ist still geworden, sehr still. Andächtig ruhig.

 

Marc unterbricht die Stille und ruft: VENUS! Ja, unseren inneren Nachbarplaneten habe ich sträflich vernachlässigt, strahlt sie doch direkt unter dem Schleierwolkenband am Westhimmel. Weitere Sterne oder gar Merkur kann ich nicht ausmachen.

Zurück an meinem Teleskop sehe ich im Sucher der Analog-Kamera, dass die Totalität bald dem Ende entgegen geht. Neue Protuberanzen sind in der 4-Uhr-Position am Mondrand aufgetaucht. Ich schaue wieder mit dem bloßen Auge zur verfinsterten Sonne, und will mir diesen Anblick nochmals fest in die Erinnerung einbrennen. Da taucht am Westrand eine blutrote Chromosphäre auf. Das wird doch nicht schon... leider doch! Ein kleiner, kugelrunder Diamantring taucht schon auf und lässt das erste Licht der Sonne schnell passieren.

 

Aber Diamanten sind eben nicht für die Ewigkeit, und innerhalb weniger Sekunden bläht sich der ästhetische Lichtballon zu einem gleißend grellen Kreis auf. Hinschauen unmöglich. Ach so, hätte ich das nicht fotografieren wollen? Hach ja!!! Der dritte Kontakt hat mich völlig in seinen Bann gezogen. Die Totalität ist vorüber, und ein Jubel geht von der Menge aus. Also wieder die Filter auf die Instrumente gesetzt. Ich bin wie gelähmt und schier überrollt von den Eindrücken der letzten 3 1/2 Minuten. Augenblicklich wird mir klar, dass die Finsternis ein voller Erfolg geworden ist. Wow!

 

Ich schaue auf die weißen Leinentücher, um vielleicht fliegende Schatten sehen zu können. Doch auch bei genauem Hinsehen kann ich nichts außer Tuchfalten erkennen. Keine Zeit zum Nachdenken, Marc und ich fallen uns derart heftig und voller Freude in die Arme, dass wir ein paar Meter den Hang hinunter kullern. Nach fast 5 Jahren haben wir wieder im Schatten des Mondes gestanden und, damals und heute, zusammen 7 Minuten und 10 Sekunden Totalität erlebt. Was für ein großer Tag. Und Venus ist jetzt, 3 Minuten nach der Totalität, noch immer gut am Himmel zu erkennen. Trotz des trüben Umgebungslichtes gewöhnt sich das Auge schnell an die zu 95% verfinsterte Sonne, die der Mond in den nächsten 70 Minuten freigeben wird.

 

Riesen-Freude auch bei Wolfgang, Elke und Conni. Die Freude der Umarmung kennt keine Grenzen! Feuchte Augen und gute Worte auch von Angela und Stefan, die gerade eben ihre erste Finsternis erlebt haben und sichtlich um Fassung ringen. Jetzt ist beiden klar, wie schwer man etwas in Worte fassen kann, was mit den eigenen Sinnen schon kaum zu begreifen ist.

Aus vielen Dialogen höre ich den unnachgiebigen Drang vieler Mitbeobachter, das Erlebte zu beschreiben. Fast alle äußern eine Faszination, ganz ähnlich der, die ich nach meiner ersten totalen Finsternis selbst beschrieben habe.

 

Es ist diese untrügliche Überzeugung und der Wunsch: Das will ich wieder sehen! Mit diesem Gefühl kann man sich nicht betrügen - es ist da, oder nicht. Am meisten höre ich heute die Frage nach dem Termin für die nächste Totale und natürlich nach dem Wo. Nun, bis zum 01.08.2008 muss man 29 Monate warten - das ist fast der maximal mögliche Zeitrahmen zwischen 2 totalen Finsternissen. Mögliche Ziele sind Novosibirsk und die Mongolei oder China.

 

Es versteht sich von selbst, auch die zweite, partielle Phase im festgelegten Rhythmus von 5 Minuten zu fotografieren. Ehrensache- die Finsternis ist ja auch noch nicht vorbei. Hochinteressant sind die Reaktionen der anderen. Während mache Zeitgenossen schon wieder mit dem Einpacken der Ausrüstung beginnen, sind erstaunlich viele offenbar mit Nachdenken beschäftigt und bemerken nicht, dass sie von mir beobachtet werden. Das Geschehen hat ringsum einen tiefen, bleibenden Eindruck hinterlassen. Indes stelle ich anhand der immer kürzer werdenden Belichtungszeiten meiner EOS 50 fest, dass sich die Zirruswolken mehr und mehr zurückziehen und die Luft wieder trockener wird. So war es auch von den verschiedenen Wettermodellen vorhergesagt.

 

Bernhard ist absolut begeistert und erzählt mir, dass sein Temperatur-Messexperiment bisher fehlerfrei arbeitet. Wir werden also anschließend den Temperaturverlauf sehr genau vorliegen haben. Und allmählich erreichen die Temperaturen wieder angenehme Werte. Erst jetzt esse ich die Reste meines inzwischen nicht mal lauwarmen Menus. Der vorletzte, planmäßige Fototermin für ein Bild der partiellen Phase ist um 15.11 Uhr. Der 4. Kontakt steht an, die Finsternis schwindet. Die 3 kleinen Sonnenflecken sind gut zu sehen, und der Mond verursacht nur noch eine winzige Fehlstelle in der runden Sonnenscheibe. Marc und ich rufen uns die Beobachtungen zu, und um 15:16:14 hat der Mond die Sonnenscheibe vollständig verlassen. Alle Schleierwolken sind fast völlig verschwunden. Die TSE 2006 ist Geschichte - und in bester Erinnerung!

 

Viele haben den Platz bereits verlassen. Es ist für mich unvorstellbar, eine Sonnenfinsternis nicht bis zum letzten Kontakt zu beobachten. Doch jetzt ist Aufbruch angesagt. Vermutlich werde ich zu den letzten gehören, die mit dem Zusammenbauen fertig werden.

 

Aber auch Marc und Bernhard sind mit dem Verstauen ihrer Dinge eine gute zeitlang beschäftigt. Es dauert über eine halbe Stunde, bis meine Ausrüstung verpackt ist. Nun gehört der Hang, auf dem ich meine 7. Sofi beobachtet habe, wieder den Eidechsen, den kleinen, schwarzen Käfern und dem Wind.

 

Conni, Bernhard und Marc haben auf mich gewartet. Beladen wie ein Weihnachtsmann schleppen wir unsere Ausrüstung in Richtung der Transferbusse, die bereits mit laufendem Motor an der Straße auf uns warten. Der Weg kommt mir mit diesen Gewichten in der Hand wie eine kleine Ewigkeit vor. Rätselraten, in welchen der Busse wir wohl einsteigen sollen. Egal, hauptsächlich will ich nun in's Hotel zurück. Ich frage mich, was das Bildmaterial der letzten 3 Stunden an den Tag bringen wird. Auf der Rückfahrt wage ich einen ersten Blick auf das Webcam- Video. Darauf, so hoffe ich, zeigen sich vielleicht doch einige Schattenbänder, die über die weißen Tücher gelaufen sind. Bei der ersten Ansicht können Marc und ich allerdings keinen Nachweis darüber feststellen. Schade, offenbar haben die Zirrus-Wolkenstreifen diesen Effekt zu verhindern gewusst.

 

Das Video von der Bodenkamera zeigt sehr schön, wie der Kernschatten über uns hinweg gezogen ist. Beeindruckend ist vor allem das lautstarke Toben der Menge zum 2. und 3. Kontakt.