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Astronomie-Reise von Alexander Birkner & Manfred Haberstroh **************************************************************************************************** Lattitude 69: Venustransit zur Mitternachtssonne am 5./6. Juni 2012 - Serie 5
Der Erlebnis- und Stimmungsbericht ... sowie Vorbericht **************************************************************************************************** Erfolgreiche Beobachtung des Venustransits bei Storvik (Steinsvik)/Nord-Norwegen Latitude: N 69° 52' 49,206" und Longitude: E 21° 9' 20,7756
Hier gehts zum Venustransit-Panorama
Zu Beginn: ein Rückblick
"Und das alles nur wegen eines kleinen, schwarzen Punkts vor der Sonne???" So, oder so ähnlich lautete meistens die Antwort, wenn Manfred Haberstroh und ich nach unserer Skandinavien-Reise vom Venustransit-Abenteuer berichteten.
Ja, wir waren nur 4 Tage im Hohen Norden Europas, ja, wir haben komplett gerechnet über 1000 km Fahrt zusätzlich mit dem PKW zurückgelegt und: wieder ja, wir haben kein Sightseeing-Programm umgesetzt und statt dessen spontane Foto-Stopps zwischendurch gemacht. Wir können nach dieser nicht ganz einfachen Kurzreise sagen: Ja - wir haben die beiden zu unseren Lebzeiten möglichen Durchgänge der Venus vor der Sonnenscheibe beobachten können! Und das macht stolz, denn jetzt ist in Sachen Venustransit große Pause. Erst im Jahr 2117 am 11. Dezember ist es nach 105,5 Jahren wieder soweit, dass unser innerer Nachbarplanet Venus vor der Sonne zu sehen ist. Bis dahin muss man sich stets mit unteren Konjunktionen zufrieden geben, bei denen der Planet meist als ca. 60" großes Planetenscheibchen in Sonnennähe nur am Taghimmel aufgefunden werden kann.
Die Vorbereitungen für das Beobachtungsziel begannen im Dezember 2011 mit der Suche nach einem passenden Flug zu diversen, in Erwägung gezogenen Zielgebieten. Favoriten waren von Anfang an Island, Schweden und die Schwarzmeerküste der Türkei. Doch aufgrund des in der Türkei nicht beobachtbaren Beginn des Venustransits entschlossen wir uns nach kontroversen Diskussionen für den Norden Schwedens. Das Land bot von dem allgemein hohen Bewölkungsrisiko in Skandinavien noch die günstigste Aussicht auf Erfolg, gepaart mit der Tatsache, zu dieser Jahreszeit nördlich des 68. Breitengrades eine nicht mehr untergehende Sonne anzutreffen ist! Somit kann auch von Europa der Venustransit grundsätzlich vollständig beobachtet werden. Diesen "Komfort" erkauft man sich allerdings mit den Konditionen einer extrem niedrig stehenden Sonne nebst Venus, die in den Nachtstunden des Transits kaum über dem Horizont stand. Das Risiko eines clouded out stieg frappant, da Horizontereignisse generell schwieriger zu beobachten sind.
Mit guten Erinnerungen an den Venustransit 2004 in Pisa/Italien waren wir in Sachen Seeing verwöhnt, doch uns war bewusst, mit unserem "nordischen" Plan ein enormes Risiko einzugehen. Immerhin herrschte Einigkeit, dass es extrem unwahrscheinlich "sein müsste", während des fast siebenstündigen Transit-Ereignisses keinen einzigen Blick erhaschen zu können. So rätselten wir, ob ein halber Transit unter wettermäßig hervorragenden Aussichten nicht sinnvoller sei als ein ganzer Transit unter möglicherweise desaströsen Konditionen. Ende Januar 2012, fünf Monate vor dem Transit, fiel die Entscheidung auf einen günstigen Flug nach Kiruna im Norden Schwedens. Kiruna ist bekannt durch seine Erzbergwerk-Miene. Aufenthalt war vom 4.-7. Juni 2012, mit separat gebuchtem Hotel und Mietwagen.
Ab hier möchte ich den Bericht, wie auch sonst, wieder in der Gegenwartsform weiterführen. Der Leser ist quasi live dabei...
Und da ist er schließlich, der 4. Juni 2012!
Bei dieser Reise verzichte ich komplett auf das eigene Auto zur Anreise an den Frankfurter Flughafen. Pünktlich um 6:23 Uhr steige ich mit Foto-Rucksack und 23 kg zulässigem Hauptgepäck in die Regionalbahn am Eppelborner Bahnsteig. In Neunkirchen geht es nach Umstieg zu Manfred Haberstroh ins Zugabteil. Ohne besondere Vorkommnisse gelangen wir stressfrei um 09:20 Uhr an den Frankfurter Flugbahnhof. Nach dem Erstellen einer Bordkarte für den Flug nach Stockholm, sowie für den Anschlussflug nach Kiruna startet unsere Maschine der SAS ziemlich pünktlich in einen regnerischen Himmel.
Das ändert sich mit der Ankunft am Arlanda-Airport in Stockholm nicht wesentlich, allerdings herrscht gerade Regenpause. Durch eine Unaufmerksamkeit entgeht uns, dass unser bereits in 45 Minuten startender Anschlussflug nach Kiruna in einem anderen Terminal abgefertigt wird. Das kostet uns wertvolle Zeit. Buchstäblich in letzter Minute erreichen wir unsere Anschluss-Maschine. Es beruhigt uns die Tatsache, wenigstens nicht die letzten, verspäteten Passagiere in dieser Maschine zu sein, denen dies passiert ist.
Fünf Minuten vor dem Zeitpunkt der planmäßigen Landung um 16:30 Uhr Ortszeit in Kiruna stehen wir bereits vor der Maschine auf dem kleinen, sehr überschaubaren Flughafen. Es ist mein erster Skandinavien-Aufenthalt. Der Himmel zeigt sich komplett bedeckt, und die relativ milden Temperaturen von 18°C in Deutschland sind hier um 10° geringer! Eine Jacke macht Sinn, der kühle Wind sorgt für Unbehagen. Schnell sind alle Gepäckstücke beisammen. Wenige Meter weiter ist das Mietwagen-Büro, in dem gleich alle Anbieter in einer einzigen Agentur untergebracht sind. Statt des bestellten Skoda Fabia gibt es "nur noch" einen geländetauglichen Toyota Verso zum gleichen Tarif - ein Angebot, dass ich gerne entgegennehme!
beide Fotos: M. Haberstroh
Gemütlich fahren wir vom Flughafengelände, südöstlich vor Kiruna gelegen, in Richtung unserer Unterkunft. In der relativ kargen Landschaft ist zu sehen, dass der Winter gerade eben vorbei ist. Noch vor wenigen Tagen gab es in geringem Umfang Schneefall. Von den intensiven Winter-Schneefällen sind hier und da in den Vorgärten alte, aufgetürmte Reste zu sehen. Deutlich erkennt man die Last, mit der die Schneemengen auf den Untergrund gedrückt haben. Auf den wenig frequentierten Straßen herrscht geringe Betriebsamkeit. Die Navigation meines Nokia Lumia 800-Handys führt uns direkt zum Yellow-House, einer Jugendherberge unweit des Zentrums von Kiruna. Das Wetter ist freundlicher geworden, die Sonne spitzt durch den ansonsten dichten Himmel.
Foto: M. Haberstroh
Das Yellow House ist die preiswerteste Art hier zu übernachten. In einem L-förmigen, gelben Holzgebäude sind die Unterkünfte der Gäste, während die Rezeption und das Büro ein einem separaten Holzhaus zu finden sind. Landesflaggen aus aller Welt flattern an der Hausfront. Ein großer Grillplatz liegt mittig zwischen Rezeption und Gästehaus. Auch hier sind verbliebene Schneeberge im Garten zu sehen, die den 8°C Lufttemperatur mutig trotzen. Gerade als wir auf die Rezeption zugehen, verschwindet der Herbergsvater mit einer großen Heckenschere im angrenzenden Garten und schneidet Bäume.
Foto links: M. Haberstroh
Dazu lässt er sich sich Zeit. Wir warten. Nach fünfzehnminütigem Baumbeschnitt - mit zwischenzeitlichem Sichtkontakt zu uns - kommt er zurück und übergibt uns nach lustloser Einweisung die Zimmerschlüssel. Ich beschränke meine Fragen auf ein Minimum. Manfred und ich beziehen je ein Einzelzimmer in der ansonsten scheinbar unbelegten Baracke.
Die Zimmerausstattung ist sehr einfach und sauber, und entsprechend den typischen Regeln einer Jugendherberge muss man sich um alles selbst kümmern - was ebenso für das Beziehen der Betten gilt. Im Erdgeschoss des zweistöckigen Holzgebäudes sind die Duschen und die Küche untergebracht, sowie ein reichlich betagtes, funktionsfähiges Telefon.
Die Einrichtung ist uralt, jedoch auf den ersten Blick gepflegt. Weil wir nur 4 Tage vor Ort sind und die meiste Zeit unterwegs, ist die Unterkunft ausreichend. Nach dem Verstauen unseres Gepäcks verlassen wir das Yellow House und erkunden das nahe gelegene Zentrum rund um den Marktplatz von Kiruna. Von fast überall ist der der Erzberg sichtbar, der dominant in westlicher Richtung thront und das Landschaftsbild prägt. Manfred und ich entscheiden uns erst einmal zur Stärkung zu einem frühen Abendessen und gehen in eine Pizzeria. Inzwischen meldet sich Kris Delcourte per SMS. Er ist mit seiner Frau auch vor Ort im Scandic Ferrum, einem Hotel nur wenige Meter um die Ecke. Ich verabrede mich mit ihm zum Besprechen eines Beobachtungsplanes des bevorstehenden Venustransits.
Kurz darauf meldet sich mein Cousin Bernhard telefonisch, der mich nach einem Filter für seine Fotoausrüstung fragt. Er möchte den Transit ab Sonnenaufgang im Saarland beobachten. Indes bekommen wir unsere "5-Minuten-mehr-wären-besser-gewesen-Pizzen" serviert, dazu ein alkoholfreies Bier. Danach verlassen wir das Lokal und machen uns auf den Weg zu Kris & Katherine. Direkt vor dem Hotel befindet sich ein zentraler Parkplatz, den eine jederzeit im Internet abrufbare Webcam überblickt. So lassen wir erst einmal Selbstportraits von uns machen - wozu brauchen wir eine eigene Kamera?
In der Lounge des Scandic Ferrum begrüßen uns Kris & Katherine. Wir sind uns zuletzt im Jahr 2005 zu gleich zwei astronomischen Ereignissen begegnet - im Südpazifik und in Tunesien! Entsprechend groß ist die Freunde sich nach fast 7 Jahren wieder während ähnlicher Mission zu treffen. Unser Plan ist es, heute Abend die Wettersituation anhand diverser Internetquellen zu analysieren und ein mögliches Ziel zur Beobachtung des Venustransits auszuarbeiten. Zeitlich sind wir nun 29 Stunden vor dem Ingress, also dem Zeitpunkt, wenn Venus beginnt, über die Sonnenscheibe zu wandern.
Die aktuelle Wettersituation lässt für Kiruna und den mittleren bis nördlichen Landesteil Schwedens keine gute Aussicht erkennen. Jay Andersson schreibt in seiner Prognose, die er über die Solar Eclipse Mailing List verteilt, innerhalb Schwedens haben die mittleren bis östlichen Landesteile die besten Aussichten auf klaren Himmel zum 6. Juni. Und tatsächlich lauten die Vorhersagen für Umea im Osten am ehesten auf klaren Himmel. Wir erklären die Hotel-Lobby kurzerhand zum Standort der Venustransit Task Force 2012 und sehen uns mit Netbook, Laptop und iPad die diversen Wetterseiten und Prognosefilme an. Allen gemeinsam ist Bewölkung mit leichtem Regen in der Region Kiruna. Deutlich günstiger scheint die Situation im Raum Tromsö auf norwegischer Seite, sowie dem kompletten hohen Norden bis nach Finnland. Uns ist schnell klar, dass dieser Transit nicht so einfach wie der letzte am 8. Juni 2004 in Pisa machbar ist.
Foto: M. Haberstroh
Kris hat eine Straßenkarte der skandinavischen Länder mit sich, und wir begutachten die Örtlichkeiten. Nordnorwegen ist zur Beobachtung eines horizontnahen Astro-Ereignisses denkbar ungünstig. Die extrem bergigen Fjörde versperren meist den Blick zum Horizont, was mir von Stefan Krauses Vorbericht zum Venustransit in Erinnerung ist. (hier sein Venustransit-reisebericht 2012)
Zu Beginn des Transits benötigen wir einen Ort mit freier Sicht nach Norden im Bereich 351° Azimuth bei einer refraktionsbedingten Sonnenhöhe von knapp 3°! In den Folgestunden des Transit steigt die Sonne nur langsam und erreicht zum Ende des Transit um 7:00 Uhr morgens eine Höhe von 17°.
Freie Sicht nach Norden ist laut Straßenverzeichnis in Nordnorwegen nicht möglich. Eine Ausnahme bildet eine Landzunge namens Reisafjörd, die südwestlich von Skervoj ins Meer ragt. Von dort, so scheint es laut Landkarte, ist der Blick zum Nordhorizont am Ostende der Landzunge nicht verdeckt durch Berge. Zudem ist die Zugänglichkeit durch eine Piste abseits der Hauptstraße gewährleistet. Uns allen erscheint dieser Ort am plausibelsten, wenn wir einerseits dem dicken Gewölk weiter südlich entgehen und andererseits den kompletten Transit haben wollen. Dazu sind fast 500 Kilometer Fahrt in Kauf zu nehmen. Doch andere Möglichkeiten sehen wir nicht. Wir vereinbaren, die komplette Prognose noch einmal morgen früh zu checken und dann spätestens um 12:00 Uhr mittags den langen Weg nach Norden gemeinsam anzutreten - oder doch nicht?
Manfred und ich verabschieden uns. Auf dem Weg zurück zum Yellow House weht ein kalter Wind durch die Häuserzeilen. Mir fallen seltsame Steckdosen auf den Parkplätzen auf - dies sind die Kontakte für Motorheizungen. Eine Notwendigkeit bei wochenlangen Minustemperaturen und Schneebergen. Die Natur hat sich hier trotz bevorstehender Sommerzeit noch nicht so weit entwickelt, wie wir es von Deutschland kennen. Der Fortschritt des Pflanzenwachstums entspricht etwa März/April, nicht dem mitteleuropäischen Juni.
Im Yellow House checke ich noch einmal eMails und prüfe die letzten Wetterprognosen für den Mittwoch. Als es etwa 23:00 Uhr Ortszeit ist, will es draußen immer noch nicht richtig dunkel werden. Als ob die Dämmerung nie zu Ende geht. Die Mitternachtssonne geht nördlich von 68° nördlicher Breite nicht mehr in dieser Jahreszeit unter. Genau deshalb sind wir hier, sonst würde uns der Venustransit teilweise verborgen bleiben. Beim Betrachten der betagten Leintücher im Schrank beschließe ich, die Bettdecke nicht damit zu beziehen! Es muss auch mal ohne Decke gehen. So versinke ich unversehens in den Tiefen der Matratze, die durchgelegener nicht sein könnte. Die Jalousie schafft es nicht, das Licht der Mitternachtssonne wirkungsvoll zu verdrängen. Zeit zur Tagesnachtruhe!
Dienstag, 05. Juni 2012
Dank meines HTC-Weckers wache ich gegen 7:00 Uhr in einem von Licht durchflutetem Zimmer auf. Die Wolken sind weitgehend gewichen, ein roter Schleier aus Sonnenlicht liegt über Kiruna. Weil ich vergessen habe, mir ein großes Badetuch zu bestellen gehe ich mit meinem winzigen Gäste-Handtuch die knirschende Holztreppe von der oberen Etage nach unten zu den Duschen. Das Abtrocknen muss heute mit diesem Gäste-Handtuch klappen ...
Manfred ist kurz darauf startklar, und so gehen wir zum Frühstücken in das Scandic Ferrum-Hotel. Für 10,00 Euro gibt es ein reichhaltiges Frühstücks-Buffet, dass keine Wünsche offen lässt. Auch Kris & Katherine sind da. Ein Flat Screen zeigt das Morgenmagazin des schwedischen TV-Programms SVT1. Der Venustransit wird in der Live-Sendung auch erwähnt. Eine kleine Animation mit dem, was da im Sonnensystem passiert, wird gezeigt. Die Wettervorhersage in der Folge ist weniger optimistisch für den nördlichen Landesteil Schwedens. Klaren Himmel zeigt die Karte in Nordnorwegen und Finnland entlang des Meeres. Ich überlege, ob wir am Fjörd bei Skervoj ausreichend nördlich sind.
Nach dem Frühstück prüfen wir gemeinsam alle Wetterkarten und beschließen darauf, sicherheitshalber den weiten Weg nach Norden anzutreten. Ich betone, dass wir über hunderte Kilometer keinen freien Blick zum Horizont haben werden und wirklich erst am Ziel die Chance auf freie Sicht auf das Meer haben. Wir sind froh, unabhängig von einem Tourplan zu sein und unsere Route selbst bestimmen zu können. Gemeinsame Abfahrt ist für spätestens 12:00 Uhr geplant. Wir verlassen das Scandic Ferrum und gehen zu Fuß zurück zum Yellow House.
Ich schleppe mit Manfred die Ausrüstung aus unseren Zimmern zum Wagen. Noch mal den Verso mit Diesel voll tanken, Getränke und Snacks für zwischendurch im Supermarkt kaufen und dann ist um 11:00 bereits Abfahrt ab dem Scandic Ferrum angesagt. Katherine hat uns bereits im Hotel Schlemmerpakete vom Frühstücks-Buffet eingepackt. Das erinnert mich, wie es immer auf meinen Reisen ist, an den weltweit funktionierenden Versorgungs-Catering-Service, von dem meine Stammleser Bescheid wissen...
Um unser Ziel im hohen Norden zu erreichen, müssen wir zunächst nach Osten bis zur finnischen Grenze fahren. Auf der Piste, die in etwa einer Bundesstraße entspricht, sehen wir immer wieder Rentiere in Rudeln am Straßenrand. Manche laufen in aller Seelenruhe über den Weg. Das wundert nicht, denn auf den einsamen Landstraßen hier ist hohes Verkehrsaufkommen nicht üblich. Auch die Geschwindigkeitsbegrenzungen auf max. 110 km/h sind durchaus sinnvoll, denn Frost und Kälte haben dem Asphalt teils deutlich zugesetzt. Da tauchen immer wieder tiefe Furchen und Schlaglöcher auf, die zum Aufpassen mahnen. Gegen 14:00 Uhr erreichen wir schließlich das schwedische Grenzstädtchen Karesuando. Zu unserer Überraschung haben sich ALLE Wolken aufgelöst, und über uns spannt sich ein klarer, dunkelblauer Himmel, der geradezu einlädt, die Venus am Taghimmel aufzustöbern!
Ab hier geht der Weg entlang der finnischen Grenze bis nach Norwegen. Wir stöbern erst ein wenig im Touristenshop "Eurosuando", direkt vor der Brücke nach Finnland. Außerdem checke ich erneut die Wetterprognosen, die mir jetzt eine Verbesserung der Wolkensituation weiter nach Süden zeigen. Das klare Wetter ist uns bereits entgegen gekommen, doch ist dies nur ein vor gelagertes Zwischenhoch, dem ein dickes Wolkenband von Osten her folgt. Wir dürfen also nicht dem Trugschluss verfallen, einfach hier zu bleiben bis zum Transit - das könnte in einem clouded-out enden!
Weiter geht unser Mini-Convoi entlang der Grenze auf finnischer Seite. Wir durchfahren eine weite Ebene. Hier besteht nahezu Rundum-Blick nach allen Seiten bis zum Horizont. Es muss dies die letzte Flachland-Region vor dem Bergland sein, dass nun vor uns liegt. Hier zu bleiben wäre trotzdem falsch. Wir gelangen über die E21 aus Finnland, die ab der norwegischen Grenze E8 genannt wird, und folgen der Route weiter gen Norden.
Entlang an schier unendlichen Fjörden schlängelt sich die Piste vorbei an malerischen Landschaften und unscheinbaren, kleinen Gemeinden. Seltsam, der Spritpreis wird, je weiter wir nördlich gelangen, immer günstiger. Zeitlich kommen wir gut voran und rechnen damit, unser Ziel gegen 19:00 Uhr zu erreichen. Dann bliebe immer noch genügend Gelegenheit für ein Scouting der Gegend im Zielgebiet.
Wettercheck im Tourist-Office@Karesuando-SWE (Bild: M. Haberstroh) / Fotostopp an einem vereisten See bei Ropinsalmi/FIN
Fotostopp an einem teilvereisten See bei Ropinsalmi/FIN
Es ist tatsächlich wie vermutet. Nirgendwo auf unserer langen Fahrt ergibt sich ein ausreichend tiefer Blickpunkt auf den nördlichen Horizont. Als wir schließlich eine ansteigende Passstraße überqueren steigt unsere Hoffnung, vielleicht doch nicht weiter fahren zu müssen als nötig. Irrtum! Die Passstraße fällt hinter ihrem Scheitelpunkt wieder steil nach Osten ab - Richtung Norden sind Bergflanken!
Fotostopp bei Trollvik/Norwegen
Dann geschieht eine fahrerische Unachtsamkeit, die möglicherweise unser Beobachtungsergebnis entscheidend beeinflussen könnte. Wir verpassen die Abfahrt links zum Reisafjörd über die Route 866 zur geplanten Ziel-Richtung Skervoj und folgen statt dessen weiter der Hauptstraße E6. Weitere 8,5 km nach der verpassten Abfahrt liegt ein malerisches Fischerdorf namens Sorkjosen am Reisafjörd ganz im Licht der Sonne. Dort halten wir am Ortseingang auf einer großen Freifläche. Zum allerersten Mal nach Hunderten Kilometern sehen wir auf eine Bucht mit nahezu freiem Blick nach Norden! Der Kompass kommt zwecks Richtungskontrolle zum Einsatz. Ein einzelner, spitzer Bergrücken könnte den ersten Kontakt noch vereiteln. Erst jetzt stellen wir fest, die Abzweigung nach Skervoj verpasst zu haben und wollen zunächst zurück fahren.
Kris sieht sich um und entdeckt abseits unseres Parkplatzes zwei Personen am Rande der Meeresbucht, nahe am Bootssteg. Ich folge Kris und wir kommen mit den beiden Männern ins Gespräch. Wir erklären, weshalb wir hier sind und wollen vorrangig wissen, ob man hier nachts die Sonne ungestört sehen kann. Wie vermutet, gibt einer der beiden Einheimischen zu bedenken, dass eine Bergflanke im Weg steht. Wir fragen, ob unser ursprüngliches Ziel auf dem Reisafjörd die bessere Entscheidung sei. Die beiden sehen sich unsere Straßenkarte an und empfehlen uns einen anderen Platz am Berg Reasvaara. Dieser liegt 17 km weiter entfernt von hier. Einstimmig raten sie uns, dort eine Meeresbucht namens Steinsvik anzusehen. Dort sei die Sicht zum Meer freier als hier am Fischerdorf Sorkjosen, und die Sonne sei in dieser Richtung während Mitternacht nicht durch Berge verdeckt. Wir bedanken uns und folgen der Empfehlung der beiden Einheimischen, die vom Ereignis des Transits sogar Bescheid wissen.
Unendliche Einsamkeit prägt die karge und dennoch beeindruckende Landschaft. Wir folgen der E6 weiter über Storslett der empfohlenen Abfahrt, die links nach Storvik abzweigt. Von weitem sehen wir dann endlich das so begehrte Ziel vor Augen: Eine weitläufige Bucht, die sich nach Norden erstreckt. Auf einer Anhöhe steht am Straßenrand ein altes Holzhaus. Hier liegt die Küste Steinsvik. Der Bergriese Reasvaara liegt direkt an der anderen Straßenseite in südlicher Richtung. Wir stoppen die Fahrt, und sind nach kurzem Check der Umgebung davon überzeugt: Hier ist der beste Platz, den man sich zur Beobachtung des Venustransits nur wünschen kann! Mehr noch, bietet dieser Platz mit abfallender, terrassierter Steilküste auch noch einen kostenlosen, natürlichen Windschutz. Der Boden ist über und über mit Schieferplatten bedeckt.
Über einen kleinen Absatz gelangt man auf eine windgeschützte Ebene mit großartiger Fernsicht über das Meer. Das ist perfekt. Es sind noch über 5 Stunden bis zu Beginn des Transit. Deshalb können alle Vorbereitungen zum Aufstellen der Ausrüstung in Ruhe durchgeführt werden. Besser geht's nicht. Mir kommt es so vor, als hätte die Natur vor Zeiten genau diesen Beobachtungsplatz eigens für den Venustransit erschaffen. Ich fühle mich in der Position der großen Entdecker und Beobachter der Transite vor Jahrhunderten, als das bloße Erreichen eines geeigneten Platzes schon eine Meisterleistung war.
Mit dem HTC-Handy ermittle ich die Koordinaten vom Platz. Wir stehen hier:
69°52'49" N, 21°9'20" O
Kris & sein Equipment
Ich & mein Equipment (Foto: Kris Delcourte)
Damals wie heute setze ich auf Webcam-Technik. Genau wie 2004 plane ich Videoclips des Transits ohne und mit Barlow-Element zur Brennweiten-Verdoppelung, und zwar an einem justierten 1000mm-Maksutov. Mit einem zweiten Stativ kommt das kleine Maksutov-Spiegeltele mit 500mm Brennweite zum Einsatz, was "ganz normale" Übersichtsaufnahmen dokumentieren soll.
Für kürzeste Verschlusszeiten benutze ich angepasste Sonnenfilter der Dichte 3,5. Gemütlich baue ich die EQ2-Montierung zur bequemen Nachführung auf. Als schwierig gestaltet sich die Einnordung, denn die Kompass-Missweisung spielt mir hier einen Streich und verursacht eine eher ungenaue Aufstellung der Montierung, die in jedem Fall abseits des Himmelspols stehen muss. Jedenfalls läuft die Sonne schneller als sonst aus dem Blickfeld. Schon bei den Testaufnahmen wird klar: Das Seeing ist heute Nacht hier grottenschlecht! Die sinkende Sonne wabert hin und her, gute Schärfe kann ich am großen Maksutov kaum einstellen.
Oh je, was wird das dann zum Transit? Die Barlowlinse macht wenig Sinn unter derart widrigen Bedingungen. Doch es heißt Abwarten, es sind noch 2 Stunden bis zum Transit. Sehr hübsch sind hingegen die zahlreich über das Zentrum der Sonnenscheibe verteilten Fleckengruppen Nr. 1493, 1494, 1496, 1497, 1498, 1499, 1500. Als nerviges Ärgernis erweist sich heute die Stromversorgung für das Netbook, auf dem ich die Webcam-Videos aufnehmen will. Mit dem zusätzlichen Verlängerungskabel, dass ich am PKW-Zigarettenanzünder anschließe, reicht die Energie nicht zum Dauerbetrieb des Netbooks. Offenbar fällt der Leitungsverlust höher aus als am eigenen PKW zuhause. Das ist ärgerlich, lässt sich aber nicht ändern: Ich muss den PKW - unter Fluchen - näher an die Ausrüstung heran fahren, damit die Zuleitung des 12-V-Adapters zum Anschluss im PKW reicht. Die Kabellänge ist jetzt nach dem Platzwechsel des PKW eben so ausreichend.
Die Zeit schreitet schnell voran. Manfred hat seine EQ3-Montierung mit 2 Optiken (Celestron C8 und 500mm Maksutov) ebenfalls betriebsbereit.
Blick in Manfreds "Transit-Wohnzimmer", wie ich diese Senke vor dem Meer am Spechtelplatz taufe.
Ich versuche, mich ein wenig im Wagen auszuruhen. Doch das schafft nur Katherine, die sich in Kris' PKW noch mal richtig ausschläft vor dem Transit. Via Twitter, eMail und SMS kommen aus aller Welt die Meldungen über die Wetterkonditionen vor Ort herein. Davon konnten vorangegangene Expeditionen vor Generationen nur träumen. Ich telefoniere mit Heike. Zuhause im Saarland sieht es sehr trübe am Himmel aus. Wenn in meiner Heimat die Sonne mit der davor schwebenden Venus aufgeht, wird dies wolkenbedingt dort wahrscheinlich niemand beobachten können.
Beim Einstellen meiner Kameras und der Instrumente fühle ich mich beobachtet. Das ist keine Täuschung, immer wieder spitzen neugierige, kleine braune Mäuse aus den Schieferplatten am Boden hervor. Aufdringlicher sind die Moskitos, die nun in der nicht endenden Dämmerung ihre Chance gekommen sehen und vermehrt zum Angriff auf die Mitteleuropäer übergehen! Sicherheitshalber ziehe ich die Strümpfe über die Hose. Hier draußen gilt es nicht, einen Schönheitswettbewerb zu gewinnen! Indes sind die Wolkenteppiche fast zur Gänze aufgelöst, bis auf einen verbliebenen Kern, der genau vor der Sonne schwebt. Die Begründung dafür kann nur sein: um uns zu ärgern! Erst nach weiteren 30 Minuten ist die Schlacht entschieden: Die Wolkenbank hat sich aufgelöst. Jetzt herrscht ein glasklarer Himmel wohin das Auge schaut. Ein roter Schleier der tief stehenden Sonne liegt über dem Meer. Manfreds Windschutz ist jetzt überflüssig geworden. Der böige Wind hat sich beruhigt und ist kaum mehr zu spüren.
6. Juni 2012 - die Nacht des Transit
Wenige Minuten vor dem Transit sitzen oder stehen wir alle schussbereit an den Kabelauslösern, Touch-Pads und Okularen. Kris möchte auf seinem iPad den Zeitpunkt des 1. Kontaktes, wenn Venus den Sonnenrand von außen berührt, in einer App festhalten und registrieren. Dazu aktiviere ich für Kris auf meinem HTC Mozart-Smartphone die Internetfreigabe. Ein fast ganz klarer Himmel spannt sich über uns, die Mitternachtssonne färbt den Boden und den angrenzenden Berg hinter uns goldrot. Einzig die Meeresbrandung ist leicht zu hören, sonst ist es hier ruhig. Gelegentlich passieren einzelne PKW die Verbindungsstraße nach Storvik weiter westlich auf dem Fjord. Einige Fischerboote sind in der Bucht unterwegs.
Zwar erscheint, wie zu erwarten, auf den späteren Bildern Venus erstmalig um 22:04 Uhr UT (=00:04 Uhr MESZ Ortszeit) vor der Sonne, doch die erste Kerbe von Venus in der Sonne entdecke ich erst um 22:05 UT auf dem Bildschirm meines Netbook. Die Luftunruhe ist extrem und erschwert die genaue Bestimmung des 1. Kontaktes - visuell wie fotografisch. Die Sonne hat jetzt die niedrigste Elevation der Nacht erreicht und steht trotzdem deutlich über dem Meereshorizont. Unser Beobachtungsort ist hervorragend, denn die Sonne kann nicht durch Bergflanken verdeckt werden. Viel bessere Plätze kann es in dieser Region kaum geben. So können wir die komplette Ingress-Phase sehen. Das gesamte Seeing ist grausam und lässt, von kurzen Momenten abgesehen, die Venusscheibe zappeln.
Um 00:23:10 steht Venus komplett vor der Sonnenscheibe. Wegen der unruhigen Luft ist der sog. Tropfen-Effekt feststellbar, was die Bestimmung des 2. Kontaktes ebenfalls erschwert. Beim letzten Transit in Italien/Montecatini Terme bei Pisa konnten Manfred und ich zu keinem Kontakt-Zeitpunkt einen Tropfeneffekt feststellen. Heute macht sich die Refraktion und die turbulente Atmosphäre bemerkbar, wie ich unschwer auf dem Bildschirm meines Netbooks erkennen kann.
Nach dem 2. Kontakt fällt die erste Anspannung von uns! Der Beginn des Transits war erfolgreich, momentan ist kein Ende des klaren Himmels absehbar. Ich kontrolliere die Schärfe des 90/1000-Maksutov-Spiegelteles, dass per Philips-ToUCam mit meinem Netbook verbunden ist. Die Brennweite beträgt etwa 5m.
Etwas ärgerlich ist nur die ungenaue Nachführung der EQ2, die ich heute nicht optimal ausgerichtet habe. Mit dem kleinen 500mm-Maksutov-Spiegeltele ist die Handhabung einfacher, denn die Brennweite beträgt hier bedingt durch den Crop-Faktor der Canon EOS 350d 800mm. Via Twitter poste ich unser vorläufiges Beobachtungsergebnis und lese diverse Erfolgsmeldungen aus aller Welt. Ich weiß, dass in Deutschland viele Freunde und Bekannte Vorbereitungen für den Venustransit getroffen haben. Allerdings muss sich die deutsche Fangemeinde noch bis 02:40 Uhr UT gedulden (=04:40 Lokalzeit MESZ Deutschland), bis sich die Sonne in östlichsten Landesteilen über den Horizont erhebt.
Hier auf der Steinsvik ist es jetzt völlig windstill. Uns fällt auf, dass von Südosten langsam Wolkenstreifen über den Himmel ziehen. Zögernd driften sie in nördliche Richtungen. Kris & Katherine benutzen ein Canon-Fernglas mit Bildstabilisator. Der Anblick des mit Filter geschützten Binos ist atemberaubend. Mittlerweile füllt sich der Himmel mit hoher Bewölkung, doch die erst knapp mehr als 3° hoch (oder tief?) stehende Sonne in nördlicher Richtung wird zunächst davon umrahmt.
Um 00:35 Uhr UT passiert dann das Unvermeidliche, denn wir verlieren Venus und Sonne hinter Wolkenstreifen. Aber - nicht ganz! Was jetzt folgt, ist ein Katz- und Mausspiel mit Wolken und Lücken. So bekommen wir in den nächsten Stunden immer wieder einen unterschiedlich langen Blick zum schwarzen Punkt auf der Sonne. Es ergibt sich aufgrund minder dichter Wolken die extrem seltene Gelegenheit, Venus mit bloßem Auge durch halbtransparente Wolken zu sehen - ganz ohne Filterbrille! Von Südosten strömen mehr Wolkenschichten herein. Über dem Meer in nördliche Richtung ist der Himmel jedoch nicht durchgängig bedeckt, sodass die Wolkenteppiche auf sehr lokaler Ebene verbleiben - mit Lücken dazwischen.
Hier gehts zum Venustransit-Panorama
Die Moskitos nerven. Angenehm sind hingegen die steigenden Temperaturen um 14°C. Zeit für einen kleinen Imbiss. Manfred nutzt die Zeit der dichten Wolken, um sein Stativ im "Transit-Wohnzimmer" umzustellen. Sonst könnte der Schieferberg hinter ihm die Sicht beim 4. Kontaktes stören.
Der Zeitpunkt der Transitmitte um 01:29 Uhr UT entgeht uns. Erst 24 Minuten später öffnet sich ein breiter Schlitz im Gewölk. Erneut ermöglichen teiltransparente Wolken den Blick zur filterlosen Sonne. Ärgerlicherweise ist unweit von hier im Nordosten über dem Meer keine Bewölkung erkennbar. Ich frage mich, ob uns der ursprüngliche Fjörd Skervoj jetzt eine freiere Sicht bieten könnte. Kris bemerkt, dass wir ein lokales Problem haben. Der hohe Bergrücken des östlichen, benachbarten Fjördes fördert die Akkumulation der Schichtwolken. Sie stapeln sich, verharren dort und bewegen sich kaum weiter, ausgerechnet im Bereich der Sonne, die jetzt immerhin eine Elevation von 8° aufweist.
Der Aufstieg der Sonne macht sich zwar in einer immer besseren Bildqualität bemerkbar infolge des schwindenden Refraktionseinflusses, doch nutzt und das bei dieser Bewölkung jetzt wenig. Weiter südöstlich des Bergrückens sehen wir den blauen Himmel. Doch der kommt nicht zu uns! Weil sich das nach einer weiteren Stunde nicht wesentlich bessert, macht Kris den Vorschlag, den Platz zu wechseln und dem blauen Himmel entgegen zu fahren. Ich zögere erst. Ich befürchte jedoch, den 3. und 4. Kontakt hier zu verpassen.
Dann beschließe ich, mit Kris & Katherine die Gegend weiter östlich selbst in Augenschein zu nehmen. Nur das kleine Alustativ mit dem 500mm-Spiegeltele nehme ich mit. Während ich mit dem Verso und der kleinen Ausrüstung im Wagen starte frage ich mich, ob diese Flucht überhaupt noch mit rationalem Denken zu tun hat. Kris und ich fahren die Straße zurück in Richtung Beginn des Fjords. Der Blick auf den wolkenverantwortlichen Berg ist jederzeit gegeben. Nach nur 3 Kilometern traue ich meinen Augen nicht. Tatsächlich herrscht weiter östlich am Ende des Bergmassives auf der anderen Seite wolkenfreier Himmel! Die Sonne steht hier im tiefen Himmelsblau, und nach einer Abzweigung 2 Kilometer weiter östlich können wir rechts der Straße auf einem Schotterweg den Transit ungetrübt weiter beobachten!
Wirklich unglaublich, es war die richtige Entscheidung! Weiter westlich sind undurchsichtige Wolkenbänke zu sehen - von wo wir kamen! Um 03:39 Uhr UT gelingt mir am zweiten Platz eine erste, klare Aufnahme der Venus vor Sonne ohne Gewölk.
Katherine möchte wieder zum ursprünglichen Platz zurück um Manfred zu informieren, wie lohnenswert ein Ortswechsel ist. Doch Manfred beschließt, keinen Ortswechsel zu unternehmen. Ich bekomme nach Katherins Rückfahrt zu Kris und mir meine 1000mm-Russentonne, um mit höherer Vergrößerung zu arbeiten. Mein Plan war niemals, das Maksutov bei einer Brennweite von 3200mm auf einem Alustativ zu benutzen. Heute ist eine Ausnahme, denn der Aufbau der EQ2-Montierung dauert einfach zu lange. Dank der weniger dichten Sonnenfilter-Folie ND 3.5 kann ich mit stehender Kamera Belichtungszeiten von 1/800s bei 200 ISO schießen ohne Schärfeeinbußen. Auslösen muss ich äußerst vorsichtig mittels Kabelauslöser. Lästig ist bei dieser Brennweite das ständige Nachstellen auf die Sonne.
Der dritte Kontakt steht bevor - es ist bereits 04:35 UT. Kris und ich versuchen uns erneut daran, den bevorstehenden Kontakt mittels Venustransit-App zu übermitteln. Doch das Glück ist uns nicht länger hold. Ausgerechnet jetzt ziehen bei uns wieder dichtere Wolkenbänke durch. Ich hoffe, dass Manfred jetzt von unserem bisweilen klaren Himmel noch profitieren kann. Durch kleine Öffnungen in den ansonsten undurchdringlichen Wolken gelingen uns kurzzeitige Blicke auf die aus der Sonne herauswandernden Venus. Gerade lange genug für ein Foto.
Wir schaffen es, mehr als die Hälfte des Egress' zu beobachten, und dann ist die Himmelsshow für uns wolkenbedingt endgültig vorbei! Wie schade. Es fehlen nur 9 Minuten bis zum 4. Kontakt! Und in den kommenden 9 Minuten klickt keine Kamera mehr, ein schwarzer Wolkenteppich schützt die Sonne vor unseren neugierigen Blicken. Das bleibt so bis um 05:53 Uhr UT, als der Transit vorüber ist. Das stimmt mich umso nachdenklicher als mir klar wird, dass es für mich nie wieder den 4. Kontakt eines Venustransits zu sehen geben wird - ebenso für den Rest der gesamten, heutigen Weltbevölkerung! Es gibt keinen Grund zum Jammern. Wir haben den Großteil des Transits gesehen - und das von Anfang an! In diesen hohen, nördlichen Breiten ist das ein respektabler Erfolg, stundenlang klaren Himmel zu genießen.
Mit Kris & Katherine verlassen wir den Seitenweg am Rande einer Kiesgrube und fahren zurück zu Manfred. Auch hier ist keine Spur der Sonne mehr zu entdecken, es sieht nach bevorstehendem Regen aus. Zu unserem großen Erstaunen ist Manfred bester Laune, denn er konnte den 4. Kontakt hier gerade noch in letzter Sekunde festhalten, bevor sich der Himmel erneut schloss. In der Tat sind auf dem Kameradisplay seiner Canon EOS 450d zahlreiche Bilder unserer fehlenden 9 Minuten zu sehen. So ist es zum guten Schluss eine runde Sache geworden, und wir haben Bilder von nahezu dem gesamten Transits, inkl. Ingress und Egress!
We made it - Hier steht's geschrieben, dass wir hier den Venustransit 2012 gesehen haben!
Manfred und ich können somit auf 2 erfolgreiche Transite der Venus zurückblicken - was vielen Generationen verborgen geblieben ist! Und meinem Vorhaben, unsere Beobachtung sichtbar für die Nachwelt fest zu halten, kann ich dank des Schiefergesteins mühelos umsetzen. So wird nichts in der Landschaft verändert, und doch zeugt die Inschrift im Schieferfelsen vom Erfolg einer großartigen Astronomie-Tour! Aller Müdigkeit zum Trotz - es ist Zeit zum Einpacken der Ausrüstung. Kris & Katherine verabschieden sich von uns, denn sie möchten ihren Urlaub fortsetzen und Schweden weiter erkunden. Bedingt durch die kleine Ausrüstung ist Kris rasch mit dem Einpacken fertig.
Während des Einpackens verschwindet auch die letzte Ecke blauen Himmels, der Wind weht kräftiger. Für das Verstauen meiner zahllosen Utensilien brauche ich gut 45 Minuten. Schließlich sind wir gegen 06:30 Uhr UT bereit zur Rückfahrt. Zuvor begehe ich letztmalig diesen für mich historischen Platz und werfe einen Blick über die raue, weitläufige See. Zeit zum Aufbruch.
Vor uns liegen 450 Kilometer Rückweg, und die können wir ohne jeden Zeitdruck antreten. So bleibt Gelegenheit für den einen oder anderen Fotostopp. Auf der Fahrt entlang der unendlich langen Fjördküsten schaue ich auf die Uhr und rechne nach, dass wir jetzt seit 26 Stunden nonstop auf den Beinen sind. Daher gönne ich mir auf dem nächsten Parkplatz Ruhe mit einem einstündigen Power-Napping. Dies hilft sehr und ich bin wieder konzentrierter als zuvor! Immer wieder passieren Rentiere die Straße, bzw. den Straßenrand. Um 10:40 Uhr erreichen wir bereits die norwegisch-finnische Grenze. In dieser Gegend ist die Einsamkeit unendlich. Nur selten sind Gehöfte zu sehen, die Straße windet sich bis zum Horizont. Gelegentlich stoppen wir und zücken die Kameras.
Außerdem bleibt viel Zeit, um über den erlebten Transit zu fachsimpeln. Manfred erzählt mir, dass er besonders zu den Kontakten beim Venustransit auf einen Atmosphärenbogen Acht gegeben hat, aber visuell nichts entdecken konnte. Ich kann dies nur bestätigen, bin mir allerdings nicht sicher, ob mein Webcam-Video vom Ingress eventuell doch solche Strukturen aufgenommen hat. Erschwert war die Beobachtung durch die unruhige Luft und die Refraktion. Denn beide Effekte sind sicher verantwortlich für den "schwarzen Tropfen-Effekt", den wir heute deutlich zu sehen bekamen, und den wir beim Transit 2004 nicht im geringsten erahnen konnten.
12:00 Uhr UT. Wir fahren über die Brücke nach Karesuando, dem finnisch-schwedischen Grenzstädtchen. Ich hole die versäumten Aufnahmen der Holzkirche nach und möchte wieder in den Souvenirshop Eurosuando.
Das klappt aber nicht wegen Feiertag - es ist Flag day in Schweden. Die Kenntnis darüber ist von Vorteil! Wenn am 6. Juni Flag day ist, dann muss künftig das Symbol des Venustransits in die Landesfahne aufgenommen werden! Den Geschäften ist die Öffnung feiertags freigestellt, daher haben heute nicht nur Tankstellen geöffnet. Nach weiteren 2 1/2 Stunden sind wir schlussendlich wieder zurück am Yellow House in Kiruna, dem Ausgangsort. Müde schleppe ich mich die uralte, knirschende Holztreppe nach oben in mein Zimmer.
Wir finden Zeit für ein paar Stunden erholsamen Schlaf zu einer ungewöhnlichen Tageszeit. Gegen 18:00 Uhr UT sind wir wieder fit und beschließen, wenigstens den Kernstadtbereich rund um den Marktplatz zu erkunden. Wir besuchen das auffällige Rathaus mit seinem weithin sichtbaren Uhrenturm.
Bildquelle: Manfred Haberstroh
Überall sind schwedische Landesfahnen aufgehängt, sogar Socken und Schuhe in den Landesfarben sind auf Wäscheleinen zu sehen. Unterhalb des Einkaufscenters befindet sich eine gut besuchte Kneipe. Hier stoßen wir bei einem schwedischen Bier auf 2 erfolgreiche Venustransite an! Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, doch es ist künftig besser, zu ähnlichen Anlässen eine andere Biersorte zu wählen. Der Schock über den angeschriebenen Preis für ein deutsches Weizenbier (0,5l) von 19,00 Euro sitzt noch immer tief.
Wir gehen zurück zum Marktplatz und besuchen dort den "Chinesen". Das Lokal ist leer, niemand zu sehen. Die plötzlich auftauchende Bedienung serviert mir ein hastig zubereitetes Reis-Entengericht. Leider ist ausgerechnet der Reis extrem trocken. Kulinarisch reiht sich Kiruna nahtlos in den Bereich der eher fragwürdigen Essensqualität wie seinerzeit zum Venustransit in Pisa - zumindest, was die schnelle Küche angeht! Bei nur 2 Tagen Aufenthalt ist eine genaue Beurteilung ohnehin nicht möglich - da muss man einfach fair bleiben. Tiefe Wolken hängen über dem Lussovara-Berg, als wir zurück zur Jugendherberge gehen. Der Tag endet in unserer uralten Unterkunft. Ein letzter Blick nach draußen zeigt großflächige Bewölkung allerseits über der unendlichen Dämmerung.
7. Juni 2012
Der heutige Tag ist komplett für die Rückreise reserviert. Nach dem Aufstehen und Duschen sind wir sofort abreisebereit und verlassen, ohne dass jemand Notiz von uns nimmt, unsere kurzzeitige Unterkunft. Da im voraus bezahlt war, muss nur noch der Schlüssel abgegeben werden. Nach letztmaligem Frühstück im Scandic Ferrum Hotel am Marktplatz von Kiruna starten wir gemütlich zum Flughafen. Dort angekommen, ist es im Gebäude totenstill. Niemand ist zu sehen oder zu hören, und das gilt auch am Mietwagen-Schalter. Wie im Yellow House, ist auch hier eine Box für die Schlüsselrückgabe zu finden. Gegenüber dem kleinen Souvenirladen im Terminal ist eine kleine Ausstellung einiger Satelliten, Weltraumsonden und Fluggeräten in einer Vitrine untergebracht. Dazu gehört auch ein Modell des Mars Express-Satelliten, der seit dem 25. Dezember 2003 den Mars umrundet.
Wir warten auf unseren Flug nach Stockholm. Unterdessen gesellt sich eine ältere Dame und ein Herr zu uns. Ich staune, als ich den Namen auf dem Fluganhänger des Gepäcks entdecke: Es ist Tora Greve in Begleitung von Göte Pettersson. Sie ist mir natürlich von zahlreichen Beiträgen aus der Solar Eclipse Mailing List (SEML) bekannt. Wir plaudern über unsere Erlebnisse vom Venustransit. Tora und Göte waren sehr erfolgreich mit ihrer Beobachtung in Björkliden, Norwegen. Sie planten genau wie wir, die Beobachtung in Kiruna. Sie folgten dem freien Himmel, indem sie die E10 in Richtung Norwegen von Abisko kommend, bis nach Narvik folgten. Bei Riksgränsen sahen sie den Beginn des Transits nach dem Ingress. Da eine Bergkuppe störte, wechselten sie den Platz und beobachteten den gesamten Rest des Transits ohne Wolken schlussendlich bei Björkliden. Hier der Bericht von Tora: http://torasol.se/venustransit2012e.htm
Dies entspricht einer Entfernung von nur 100 km Fahrtweg von Kiruna und liegt auf schwedischer Seite, im Lee der Skanden. Ich bin erstaunt, wie positiv sich das Wetter so unweit von Kiruna zum Guten gewendet hat. Doch gestaltete sich hier der Ingress als nahezu unbeobachtbar infolge des horizontnahen Sonnenstandes und der Bergflanken.
Um 10:28 Uhr UT startet unsere Maschine nach Stockholm. Es ist regnerisch. Wir bekommen einen hervorragenden Blick auf das Luossavaara-Gelände und verabschieden uns von Kiruna! Um 11:49 Uhr UT setzen wir zur Zwischenlandung am Arlanda Terminal in Stockholm. Heute ist das Zeitfenster für den Anschlussflug größer als beim Hinflug. Zudem verlaufen wir uns dieses Mal nicht im falschen Terminal! An Zeitungsständen entdecken wir in der "Dagens Nyheter" einen kleinen Bericht über den Venustransit mit einem s/w-Bild, sowie ein paar Farbbilder in der "Metro Stockholm".
Außerdem finde ich Gelegenheit für die Familie zuhause nach dem einen oder anderen Souvenir zu schauen. Das klappte in Karesuando wegen des Feiertages in Schweden leider nicht. Unser Rückflug nach Frankfurt verläuft unspektakulär. Ich bin sehr erfreut, endlich einmal beim Anflug auf Frankfurt am Main auf der richtigen Seite für Fotos der Skyline zu sitzen! Als das Stadion der Commerzbank-Arena ins Blickfeld rückt, sind es nur noch 2 Minuten bis zur Landung auf deutschem Boden um 15:15 Uhr UT.
MAINhattan-Skyline
Wie angenehm - mit 18°C ist es ungewohnt warm für Manfred und mich, als wir die Maschine verlassen und zum Flughafen-Bahnhof gehen. Zeit für ein paar Snacks, bevor unser Zug mit Ziel Saarland abfährt. Mir stehen noch 2 Umstiege bevor. Auf der Rückfahrt bleibt uns genügend Zeit zum resümieren unseres zweiten Venustransit-Abenteurs.
Einigkeit herrscht darüber, dass wir zufrieden sein können. Uns gelang die Beobachtung der wichtigsten Passagen, wir haben zahlreiche Fotos geschossen und konnten live erleben, mit welcher Geschwindigkeit Venus vor der Sonne schwebte. Wir wissen nicht, mit welchen Techniken der nächste Venustransit am 11. Dezember 2117 beobachtet wird. Bis es soweit ist, wird man auf Fotos wie hier auf dieser Website nachsehen müssen, wie es aussieht. Wird diese Generation noch Zugriff haben auf die Erlebnisberichte der Welt aus 2012?
Meine besondere Freude ist es zu wissen, dass ein kleiner Nachweis unserer historischen Beobachtung im Norden Norwegens an einer bestimmten Stelle im Schiefer-Felsen verewigt ist. Wenn auch ganz bestimmt nicht für alle Ewigkeit, so wissen Manfred und ich genau, wo es nachzulesen ist!
End of Transit story.
VORBERICHT ZUM TRANSIT:
VENUSTRANSIT 2.0 non-beta! Der letzte Venustransit meiner Generation am 5./6. Juni 2012 - Serie 5
Beobachtung des Transits in Kiruna/Schweden - Live-WebLogs und Fotos via Twitter Stream. Vorbericht - Infos -Reisepläne - Aktuelles und alle meine Aktivitäten rund um den Transit
Timeline: 28.09.2012: Fertigstellung eines Venustransit-Panoramablickes vom Beobachtungsplatz 14.07.2012: Veröffentlichung des Online-Berichtes Lattitude 69-Venustransit zur Mitternachtssonne 26.06.2012: Später Start des Erlebnisberichtes zur Venustransit-Reise aufgrund eigener Vernissage 07.06.2012: Rückkehr von der Reise nach Kiruna/Schweden 06.06.2012: Venustransit 2012 erfolgreich bei Sturvik/Nord-Norwegen beobachtet! 10.05.2012: Equipment-Test für den Venustransit 16.04.2012: Buchung einer Unterkunft in Kiruna 03.03.2012: Prüfung der lokalen Gegebenheiten/Ephemeriden in Kiruna für den Transit 10.02.2012: neue Foto-Filterfolie 3.8 für 10/1000 Maksutov bezogen 31.01.2012: Buchung eines Fluges nach Kiruna/Schweden Sicherheitshinweis: Zur Beobachtung des Venustransit ist jederzeit eine geeignete Filterfolie zur gefahrlosen Beobachtung erforderlich! Ungeübte oder unsichere Beobachter und Interessenten wenden sich bitte an ein örtliches Planetarium. 1631+1639 : 1761+1769 : 1874+1882 : 2004+2012 : 2117+2125 : 2247+2255 : 2360+2368 Vorbericht und Überlegungen rund um das Ereignis des Jahres 2012... Gewöhnlich muss man in astronomischen Kreisen Geduld aufbringen, um ein bestimmtes Schauspiel am irdischen Himmel ein zweites Mal zu beobachten. So können z.B. zwischen 2 Totalen Sonnenfinsternissen auf der Erde über 29 Monate Zeitraum liegen. Zwischen 2 Bedeckungen des selben Planeten durch den Mond ist durchaus schon mal mehrere Jahre Geduld nötig - was allerdings, wie immer, ortsabhängig ist. Das alles sind jedoch überschaubare Zeiträume aus der Sicht des Menschen. Exotisch wird es, wenn der Zeitraum zwischen 2 Ereignissen so lange dauert, dass gleich mehrere Generationen Wartezeit erforderlich wird: Ich meine damit die von der Erde aus gesehen extrem seltenen Wanderungen der Venus vor der Sonnenscheibe. Wer den Venustransit am 5./6. Juni 2012 verpasst, bekommt keine weitere Gelegenheit: Bis zum nächsten Venustransit dauert es dann bis zum 11. Dezember 2117 - ein Samstag. Mehr als 105,5 Jahre lang ist der zeitliche Abstand! Wer vermag sich vorzustellen, welche technischen Möglichkeiten der Menschheit dann zur Verfügung stehen werden? Was da am Himmel passiert, folgt dem gleichen Regelwerk, das auf der Erde den Anblick einer Totalen Sonnenfinsternis ermöglicht. Dies führt im Falle der Venus zu einem äußerst ungewöhnlichen Intervall. In unserer Epoche folgt auf einen Transit nach 8 Jahren noch ein weiterer, dann dauert es 105,5 Jahre bis zum nächsten. Nach weiteren 8 Jahren ist das Folgeereignis erst nach 121,5 Jahren wieder zu beobachten. Die himmelsmechanischen Vorgänge und Gründe dieser Abstände sind exzellent auf dieser Infoseite der WAA in deutsch beschrieben, sowie speziell für den 6. Juni 2012 hier. Zu dem Transit-Paar 1761 und 1769 unternahmen Astronomen aufwändige Reisen, um durch praxisbezogene Beobachtungen den genauen Abstand Sonne-Erde zu bestimmen. Die allerersten Sichtungen, wie Venus vor der Sonnenscheibe entlang zog, gehen auf das Jahr 1639 zurück. Mir ist zusammen mit allen interessierten Zeitgenossen das besondere Glück zuteil, ein solches Transit-Paar direkt beobachten zu können - wovon vorangegangene Generationen von Astronomen nur träumen konnten. Venustransit im Doppelpack sozusagen. Die Reisen zu den Transits waren kein Vergnügen, sondern bedeuteten monatelange Anreisen unter mühevollen Qualen. Heute ist es nur eine Frage der zeitlichen Organisation und der Festlegung auf einen bestimmtes Land.
Venustransit 1.0 Den ersten Venustransit konnte ich am 8. Juni 2004 gemeinsam mit Manfred Haberstroh unter hervorragenden Bedingungen erfolgreich in Italien vollständig beobachten. Kompletter Bericht auf eigener Seite hier. Nicht eine einzige Wolke trübte die Sicht am Himmel östlich von Pisa in Montecatini Terme, inmitten der malerischen Pistoia-Provinz, so wie vielerorts in Europa. Wir waren Zeuge dieses historischen Ereignisses. Wir konnten beobachten, dass eine Finsternisbrille zur eindeutigen Erkennung der Venus vor der Sonne ohne weitere Vergrößerung völlig ausreichte. Außerdem konnten wir eben nicht das früher beschriebene Tropfenphänomen bestätigen, welches in alten Berichten die Bestimmung des genauen Eintrittszeitpunktes der Venus vor der Sonne so sehr erschwerte. Wir beobachteten mit allen Optiken stets messerscharfe Kontakte und konnten keine am Sonnenrand verformte Venus feststellen. Nach dem letzten Kontakt freuten wir uns riesig - und zwar nicht einmal hauptsächlich über die optimalen Bedingungen, sondern vielmehr, weil wir Zeuge eines Vorganges im Sonnensystem wurden, dass vor Zeiten nur privilegierten Wissenschaftlern mit ihren aus heutiger Sicht einfachen Instrumenten zugänglich war.
Venustransit 2.0 Jetzt sind 8 Jahre fast vergangen, und der zweite der beiden Transite steht bevor. Obwohl der Venusdurchgang in die gleiche Jahreszeit fällt wie 2004, gibt es einen Unterschied. Der gesamte Durchgang kann dieses Mal nur von der östlichen Hemisphäre der Erde unter optimalen Bedingungen beobachtet werden. Grundsätzlich sind die Regionen von Zentral-Russland bis in den gesamten pazifischen Raum bevorzugt. Fast ganz Südamerika und Westafrika gehen dieses Mal vollständig leer aus. Europa erlebt einen - grob bezeichnet - mehr oder minder "halben Transit", dessen Sichtung davon abhängt, wann die Sonne aufgeht. Um einen Überblick der beobachtbaren Gesamtlänge aufzuzeigen, habe ich mit dem Programm Cybersky von Michael Stephen Schimpf einmal für manche Orte nachgerechnet. Ort - beobachtbare Länge gerundet - Sonnenaufgang - Zeit des Austritts - Sonnenhöhe - (alle Zeiten in UT!)
Von Deutschland aus kann man den Schluss des Transits nach Sonnenaufgang sehen, und zwar etwa 90 Minuten bei westlichem Standort und bis zu 130 Minuten in den nordöstlichsten Gebieten der Republik. Mit jedem Schritt weiter in Richtung Norden und Osten, bzw. zum Sonnenaufgang verlängert sich die Dauer des Transits. Ab Novosibirsk kann der Transit in seiner gesamten Länge von Sonnenaufgang an beobachtet werden - klaren Himmel vorausgesetzt. Premium-Standorte zur Beobachtung sind Australien (der Osten und das Landesinnere) sowie Hawaii.
!!!
Sicherheitshinweis: Die nachfolgenden Schilderungen gelten für mit Sonnenbeobachtung erfahrene Personen - bitte die am Anfang dieser Seite erwähnten Sicherheitshinweise beachten - es droht Erblindung bei Missachtung! Günstige Orte für einen mehr oder minder "halben Transit" sind die Türkei, Bulgarien, Ägypten und ganz besonders die arabische Halbinsel, wo Wolken in dieser Jahreszeit nahezu ausgeschlossen werden können. All' diese Orten inkl. Deutschland, von denen aus ein halber Transit sichtbar ist, bieten dem Betrachter eine einmalige (nein, letztmalige!) Chance. Beim unmittelbaren Sonnenaufgang besteht kurz, und unter größter Vorsicht, die Möglichkeit, die Venus mit bloßem Auge für einen Moment filterlos zu sehen, wie sie vor der Sonne schwebt! Hier sind Dunst oder leichter Nebel von geringer Dichte in Horizontnähe die idealen und gewünschten Helfer! Das ist ein einmaliger, sehr spezieller Moment. Und diesen Moment kann man an ganz wenigen Orten der Welt unter Umständen auf Stunden ausdehnen! Dazu folgende Vor-Überlegung: Im Juni sinkt die Sonne nördlich des Polarkreises nicht mehr unter den Horizont. Das ist der Grund, warum man vom Norden Skandinaviens den Transit des 5./6. Juni somit auch von Europa aus in voller Länge sehen kann. Einen Sonderfall stellt das westlich gelegene Island dar. Island liegt etwas südlich des Polarkreises. Zur Mitte der Nacht sinkt die Sonne am 6. Juni im Nordosten bzw. Norden der rauen Vulkaninsel für etwa 2 Stunden knapp unter den Horizont - mathematisch. Refraktionsbedingt ist eine Anhebung der Sonne um bis zu 2° denkbar. In diesem Fall ist es möglich, dieses ultimative, astronomische Kino zu erleben: Erlauben die Wolken einen Blick zur Sonne, dann schrammt diese gut 2 Stunden entlang des Nordhorizontes etwa zur Hälfte über dem Meer, zur Hälfte unter dem Horizont. Wenn alle Bedingungen stimmen hat man die ultimative Gelegenheit, Venus fast 2 Stunden mit bloßem Auge vor unserem Zentralgestirn zu erleben! Allerdings ist das der Idealfall. Dabei muss bei absolut wolkenfreiem Himmel mit entsprechender Sonnenfilter-Brille beobachtet werden. Nur im Falle von teiltransparenten Wolken darf man einen direkten Blick auf die unwiederbringliche Szenerie wagen. Manfred Haberstroh und ich entscheiden den letztendlichen Beobachtungsort in den Tagen vor dem Transit nach der Wetterentwicklung. Das Städtchen Kiruna im nördlichen Schweden ist dabei inzwischen eine Option, für die wir uns eine günstige Flugreise sichern konnten. Hier kann grundsätzlich der komplette Transit beobachtet werden. Im Falle von ungünstigen Prognosen verwerfen wir den Plan und entscheiden kurzfristig per Last Minute. Auf jeden Fall wird es auf meinem Twitter-Kanal aktuelle Bilder und Berichte in den Tagen vor und nach dem Geschehen geben. Unabhängig vom final gewählten Beobachtungsort möchten wir unsere fotografischen Erfahrungen vom 8. Juni 2004 erweitern und auch den Zeitraum vor und nach dem Transit der Beobachtung der Venus widmen. Unsere mobilen Nachführungen helfen uns dabei, auch größere Brennweiten einzusetzen. Vielleicht gelingt uns der fotografische Nachweis des Lomonossow-Effektes, der die leuchtende Venusatmosphäre sogar noch durch ein dichtes Sonnenfilter erkennen lässt. Diesen bemerkenswerten Effekt haben wir in 2004 keine Beachtung geschenkt, und auf den bearbeiteten Fotos meiner Webcam konnte ich ihn auch im Nachgang nicht feststellen. Das hat seine Ursache aber in einer stets zu konservativen - weil korrekten - Belichtung! Steigert man die Belichtung so weit, dass Sonnenflecken eben verschwinden, ohne dass der Sonnenrand "ausreist", kann der Nachweis gelingen. Wir erwarten mit Spannung dieses fast siebenstündige Erlebnis am 6. Juni 2012. Ein Tag, der ohne das Wissen über den Venustransit völlig gewöhnlich und ohne die geringste Auffälligkeit verlaufen wird. Ein Tag eben nicht für Jedermann - nur für die Wissenden!
"If you don't look - you won't see" (Rick Fienberg, Chief Editor Sky&Telescope USA)
Alexander Birkner, Vorbericht 22.02.2012 zur kernschatten.info- Startseite
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